Nordkorea / Die Stunde der Deutschen – Eine Kolumne von Dr. Theo Sommer
Der deutsche Gründungsvorsitzende des Deutsch-Koreanischen Forums, Dr. Theo Sommer und der heutige deutsche Ko-Vorsitzende Hartmut Koschyk
In nachfolgender Kolumne geht der Gründungsvorsitzende des Deutsch-Koreanischen Forums und langjährige Herausgeber, Editor at Large und Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ auf die innerkoreanische Annäherung und auf die Rolle Deutschlands dabei ein.
Die Zeit. Eine Kolumne von Dr. Theo Sommer. US-Präsident Donald Trump hat sich als Beförderer der koreanischen Versöhnung inszeniert. Doch die Verhandlungen im Atomkonflikt stocken. Nun sind andere gefragt.
Alle Welt blickt mit Spannung auf das Ergebnis der Zwischenwahlen in Amerika, teils bangend, teils hoffend. Dies ist in Seoul nicht anders als in Berlin, Brüssel oder Peking. Beim Deutsch-Koreanischen Forum, das Ende Oktober in Daejeon stattfand, überlagerte eine Frage die Tagesordnung wie auch die Unterhaltung in den Sitzungspausen: Wie geht es weiter in den Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea und den parallel geführten innerkoreanischen Gesprächen?
Vor einem Jahr drohte der US-Präsident Donald Trump Nordkorea „Feuer und Zorn“ und „totale Vernichtung“ an. Beobachter erwarteten, dass er nach den Olympischen Winterspielen einen Militärschlag anordnen werde. Die unerwartete Entspannung zwischen den beiden Koreas vor und während der Spiele, in denen die Sportler der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs geteilten Nation gemeinsam antraten, nötigte den Präsidenten jedoch, zunächst einmal abzuwarten. Dann nahm er überraschend und gegen den Rat engster Mitarbeiter die Einladung des nordkoreanischen Jungdiktators Kim Jong Un zu einem Gipfeltreffen an.
In Singapur verabredeten die beiden im Juni amerikanische „Sicherheitsgarantien für die Demokratische Volksrepublik“ gegen eine „komplette Entnuklearisierung der koreanischen Halbinsel“. Hingerissen von dem „talentierten und ebenbürtigen Verhandler Kim“ – „we fell in love“ – twitterte Trump danach: „There is no more a nuclear threat from North Korea“ . Eine atomare Bedrohung aus Nordkorea gebe es nicht mehr.
Die Vorstellungen der „neuen Zukunft“ gehen auseinander
In den seither geführten Verhandlungen wurde allerdings bald klar, dass die Regierungen in Washington und Pjöngjang sehr verschiedene Vorstellungen von der beiderseits angestrebten „neuen Zukunft“ haben.
Die Gespräche fraßen sich fest an entscheidenden ungeklärten Details. Was sind „gleichwertige Abrüstungsschritte“? Müssen die Amerikaner, die noch immer fast 30.000 Soldaten in Südkorea stationiert haben, ihre Atomwaffen von dort abziehen, wenn Kim auf die seinen verzichtet? Unterwirft sich der Nordkoreaner tatsächlich strengster internationaler Überwachung? Und in welchem Zeitraum soll die Atomabrüstung bewerkstelligt werden?
Die Amerikaner drängten in den Verhandlungen auf einen sofortigen Beginn der nuklearen Abrüstung. Die Nordkoreaner wollten zunächst konkrete US-Vorschläge zu Sicherheitsgarantien, zur Aufhebung des Sanktionsregimes und zur Beendigung des Kriegszustandes durch Abschluss eines Friedensvertrages sehen. Mehrfach verhandelte US-Außenminister Mike Pompeo in Pjöngjang, doch brachte er vor den Kongresswahlen keine Einigung mehr zustande. Genervt warnten die Nordkoreaner, eine Verbesserung der Beziehungen sei mit der Aufrechterhaltung der Sanktionen nicht vereinbar. Ihr Kurswechsel in der Atompolitik könne durchaus überdacht werden.
Der südkoreanische Präsident Moon Jae In hat sich mittlerweile dreimal mit Kim Jong Un getroffen. Von der letzten Begegnung brachte er Nachrichten mit, die Trump eine „aufregende Entwicklung“ nannte: Kim wolle die Entnuklearisierung bis Januar 2021 vollständig abgeschlossen haben – also genau bis zum Ende von Donald Trumps erster Amtszeit. Dies setzt freilich voraus, dass sich auch der US-Präsident endlich bewegt, vor allem bei den Sanktionen.
Daran ist Moon Jae In besonders gelegen. Bisher hat er sich mit Kim über einige Punkte geeinigt. Im Dezember sollen die 2008 unterbrochenen Eisenbahnlinien und Fernstraßen über die Grenze wieder für den Verkehr freigegeben werden. In Panmunjom verhandeln die Militärs beider Seiten über Entspannungsmaßnahmen an der Grenze. Und in diesem Monat noch treffen sich die Vertreter des Roten Kreuzes aus Nord und Süd, um über eine Renovierung des Treffpunktes für getrennte Familien zu reden.
Doch kann dies alles nur ein Anfang sein. Eine großangelegte wirtschaftliche Zusammenarbeit, die dem Norden die überfällige Modernisierung bringt und seinen Menschen Erleichterungen im Alltag schafft, findet ihre Grenzen an der Fortdauer der Sanktionen. Werden sie nicht heruntergefahren, wird sich die brutale Härte der koreanischen Teilung nicht überwinden lassen.
Die Südkoreaner sind mit Mehrheit für Moons Entspannungspolitik. Doch gehen die Meinungen auch auseinander. Viele fürchten die finanziellen Lasten, die eine Annäherung an den Norden ihnen aufbürden würde. Die Skeptiker fragen, ob man Kim Jong Un wirklich trauen kann oder ob Seoul wieder einmal an der Nase herumgeführt werden soll. Sie fürchten auch, dass Trumps Sanktionspolitik die innerkoreanische Annäherung vereiteln und der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt die Entwicklung auf der koreanischen Halbinsel beeinträchtigen könnte.
Vom 24. bis 26. Oktober 2018 tagte das 17. Deutsch-Koreanische Forum in Daejeon
Die Koreaner blicken jetzt nach Berlin
Kein Wunder, dass die Koreaner nach Berlin blicken. „In dieser Lage sind wir dringend auf das Interesse und die Unterstützung von Deutschland respektive der EU angewiesen“, sagte der frühere Ministerpräsident Kim Hwang Sik dem Deutsch-Koreanischen Forum in Daejeon. In einer bewegenden und hocherfreut aufgenommenen Rede griff Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder dieses Verlangen auf und bot den Koreanern Rat und Tat aus seiner eigenen Erfahrung mit Entspannung und Wiedervereinigung an.
Die Bundesregierung hat sich damit bisher unerklärlicherweise sehr zurückgehalten. Im September vorigen Jahres, als aus Moons Reden längst erkennbar war, dass er auf einen gemeinsamen Auftritt von Nord und Süd bei den Winterspielen hinarbeitete, lehnte das Bundeskanzleramt es ab, beim Internationalen Olympischen Komitee darauf einzuwirken, dies zu ermöglichen.
Seit dem Berliner Mauerfall, seit fast dreißig Jahren also, haben wir Deutschen den Koreanern gewünscht, dass ihnen im Gang der Geschichte das gleiche Glück widerfährt wie uns: dass wieder zusammenwächst, was zusammengehört. Wir sollten jetzt nicht zögern, ihnen in diesem schwierigen Prozess politisch, diplomatisch und auch wirtschaftlich Beistand zu leisten.
Den Artikel in der Online-Ausgabe der Zeit finden Sie hier.